Blindflug
2021 entdeckte ich beim Spaziergang im Wald einen umgestürzten Baum. Die Wurzel ragte mehrere Meter nach oben. An einzelnen Stellen waren Lücken, durch die man in den Himmel schauen konnte. Mich zog es immer wieder zu dem Baum und so entstand im Sommer 2022 das Video „Blindflug“, bei dem ich kleine Spiegel in die Löcher der Baumwurzel installierte.
Die Kamera in Blindflug zeigt zwei Perspektiven: Einmal die der Person, die auf dem Stamm balanciert und auf die Wurzel zuläuft, und zum anderen, den Blick aus dem Spiegel, der die Person betrachtet, die schließlich vor der Wurzel steht und ihr Antlitz im Spiegel sucht (erschwert durch die geschlossenen Augen, die wiederum für den Betrachter wie offen, aber starr, erscheinen und auf die Augenlieder geschminkt sind).
Die Arbeit ist für mich selbst rätselhaft. Sie ist intuitiv entstanden, obwohl sie eine aufwendige Choreografie aufweist. Ich war getrieben von der Frage, wie der Mensch eins sein kann mit der Natur. Denke ich „ich bin Teil der Natur“, so habe ich bereits durch die Worte „ich“ und „Teil“ zwei Entitäten benannt. Durch die Fähigkeit mein Ich als solches zu erkennen, bleibt mir das Gefühl der Auflösung verwehrt.
Der entwurzelte Baum sprach mich als Symbol des Gefühls von Entwurzelung an. Die Arbeit stand bei Entstehung in unmittelbarem Zusammenhang zu einer anderen Arbeit „Ahnen“, bei der ich meine Vorfahren, die Tätergeneration aus dem 2.Weltkrieg (, auch als „die schweigende Generation“bezeichnet), auf mein mit Heilerde bestrichenes Gesicht projeziert hatte.
Ich hatte den Baum als Ausdruck meines eigenen Gefühls von Entwurzelung gewählt, allerdings war mir erst bei genauerer Beschäftigung klar geworden, dass -um im Bild zu bleiben- nicht ich entwurzelt, sondern vielmehr in Blindheit aufgewachsen bin, blind als Tochter einer Generation von Deutschen, die das Ausmaß des Holocaust emotional nicht fassen können und dem zu Folge Anteile an Emotionalität nicht erleben und auch nicht weitergeben. Dass der entwurzelte Baum das Symbol für die Schoa ist, kam für mich erst nach Abschluss des Drehs ins Bewusstsein und hat mich dann tief berührt; als hätte mich die Auseinandersetzung mit dem Baum zu diesem Teil der Vergangenheit geführt.
Blindflug, Videoperformance,
https://youtu.be/8d2ubByukrw?si=CdYDtCofWBL5i1t2
4`47min, (2022)
Kamera: Eva Weingärtner, Marc Behrens, Stefan Maaß;
Performance: Eva Weingärtner
©Eva Weingärtner
In 2021, I discovered a fallen tree while walking in the forest. The root rose severel meters upwards. In some places there were gaps through which you could see the sky. I was always drwan to the tree and so the video „Blindflug“was created in the summer of 2022. I installed in the holes of the tree roots.
The camera in „Blindflug“ shows two perspectives: firstly, that of the person balancing on the trunk and running towards the root, and secondly the view from the mirror, which looks at the person who is finally standing in front of the root and searches her face in the mirror (made more difficult by the closed eyes, which in turn appear to the viewer as if they were open but rigid, second eyes are painted in the eyelids).
The work is puzzling to myself. It was created intuitively, althpuogh it has complex choreography. I was driven by the question how humans can be one with nature. If I think „I am part of nature“, I have already namd two entities with the words „I“ and „part“. Because if the ability to recognize my self as such, I am denied the feeling of dissolution.
The uprooted tree spoke to me as a symbol of beeing uprooted emotionally. When it was created the work was directly related to another work „Ahnen“, in which I projected my ancestors, the generation of perpetrators of World War II ( also referred to as „the silent generation“), onto my face which was covered with healing clay.
I had chosen the clay as a symbol of my own feeling of being uprooted, but rather grew up blind, blind as a daughter of a generation of Germans, who can not emotionally grasp the extend of the Holocaust and as a result do not experience or pass on certain parts of emotionality.
The fact that the uprooted tree is a symbol of the Shoa only became apparent tp me after filming had been completed and then it touched me deeply; as if the confrontation with the tree had led me to this part of the past.
Blindflug, Videoperformance,
https://youtu.be/8d2ubByukrw?si=CdYDtCofWBL5i1t2
4`47min, (2022)
camera: Eva Weingärtner, Marc Behrens, Stefan Maaß;
performance: Eva Weingärtner
©Eva Weingärtner